Daniela Limberger im Gespräch mit Johann Tertschek
Eine besondere Freude bereitete mir, dass ich für meinen Spaziergang auf der Ennsleite Herrn Johann Tertschek gewinnen konnte. Beinahe jeden Dienstag besucht er das Steyrer Stadtarchiv für seine Recherchen, einmal pro Monat ist er in Wien im Staatsarchiv. Wir treffen uns mit dem 89-jährigen Wahl-Ennsleitner, der 1950 im Gymnasium in Steyr maturierte und von 1965 – 1991 Werksarzt der „Steyr Daimler Puch Werke“ war, beim sogenannten „Wasserturmhaus“. Seit 1967 lebt er mit seiner Gattin auf der Ennsleite. Demnächst soll eine Publikation über die Entstehung der Siedlung erscheinen. Sie wurde 1912 – 1914 auf den sogenannten „Kammermayr- und Schacherlehnergründen“, die ehemals zur Gemeinde Sankt Ulrich gehörten, errichtet, nachdem die Österreichische Waffenfabriks-Gesellschaft wegen wiederkehrender Hochwässer und der fehlenden Eisenbahnanbindung in diese Gegend verlegt worden war.

Die Gartenstadt Ennsleite © Hannes Ecker
Das schwere Los der Arbeiterschaft
Beschäftigte die Waffenfabrik vormals rund 5.000 Arbeiter, hatte man zu Spitzenzeiten 15.000 Beschäftigte, für die es rasch Unterkünfte zu schaffen galt. Durch die prekären Wohnverhältnisse brach 1917 unter der Arbeiterschaft eine Typhus-Epidemie aus. Nicht selten teilte man sich das Bett mit zwei weiteren Kollegen. Man sagte, die Betten der Arbeiter seien nie kalt geworden. So verbrachte man ein Tagesdrittel im Bett, eines in der Arbeit und die restliche Zeit im Wirtshaus. Die unterdrückten Arbeiter kämpften mit der zunehmend drückenden Armut, was letztendlich im Jahr 1934 zum Aufstand, den sogenannten Februar-Kämpfen führte.

Pfarrkirche Steyr-Ennsleite © Hannes Ecker
Von der Neustifter Kapelle zum architektonischen Juwel
Im Zuge der Errichtung der Waffenfabrik wurde 1913 die Maria Neustift Kapelle abgetragen, anstatt derer die Errichtung einer neuen Andachtsstätte angekündigt wurde. Dieses Versprechen wurde allerdings erst 1961 eingelöst, als die Pfarrkirche Steyr-Ennsleite, die in der österreichischen Architekturgeschichte eine überaus bedeutsame Stellung einnimmt, eingeweiht wurde. Mit ihren markanten, wiederkehrenden, x-förmigen Stützelementen, die symbolisch für die 10 Gebote stehen, hebt sich dieses Gebäude stark vom traditionsgeprägten Kirchenbau dieser Zeit ab.

Johann Tertschek erzählt von seinen Eindrücken von der Ennstleite © Hannes Ecker
Die verschlafene Gartenstadt
Bei unserem Spaziergang lassen wir uns in der herrlichen Parkanlage zwischen Schosserstraße und Josef-Wokral-Straße auf einer Parkbank nieder, um zu plaudern. Ich fühle mich fast wie in einem noblen englischen Viertel. Viel Grün, Ruhe und geschichtsträchtige Gebäude erlebt man hier in diesem ältesten Teil der Ennsleite. Neben den vielen Nahversorgern, dem Wochenmarkt und der Jugendherberge gibt es Sportstätten und Freizeiteinrichtungen, die es einem an nichts fehlen lassen. Die Wohnqualität sei auch aufgrund der Nähe zum Stadtzentrum unumstritten, erklärt Herr Tertschek. Ich freue mich schon sehr auf seine demnächst erscheinende Publikation, in der wir umfassende geschichtliche Ausführungen zur Entstehung der Ennsleite nachlesen werden können.
Alle Fotos von unserem Fotografen Hannes Ecker findest Du hier auf Flickr.